Vergessene Pariser Mode-DesignerinElsa Schiaparelli (2024)

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Was für ein Auftritt! Der Chefredakteur der Pariser "Vogue", Main Bocher, hatte zum Abendessen geladen. Die Gäste standen plaudernd in kleinen Grüppchen zusammen. Und dann kam sie - viel zu spät. Alle Blicke richteten sich auf die gerade mal 1,50 Meter Elsa Schiaparelli und auf das, was sie trug: einen schwarzen Pullover mit einer weißen, eingestrickten Schleife. Vor allem die Damen waren begeistert. "Alle wollten einen haben, und zwar sofort", erinnerte sich Elsa Schiaparelli knapp 30 Jahre später an jenen Abend im November 1927, der ihr Leben verändern sollte.

Es war ein bewusst inszeniertes Entree. Bocher versammelte stets die Meinungsmacher der Pariser Modebranche um sich, es gab also für Schiaparelli kaum eine bessere Gelegenheit, ihre Kreation exklusiv zu präsentieren und die Entscheider für sich zu begeistern. Und tatsächlich: Kurz darauf orderte das New Yorker Luxuskaufhaus Lord & Taylor 40 ihrer Schleifen-Pullover. Einen Monat später zeigten die französische, britische und amerikanische "Vogue" das Stück in ihren Dezemberausgaben und feierten den Strickpulli als "Triumph der Farbmischung...ein künstlerisches Meisterwerk!"

Es war der Auftakt des kometenhaften Aufstiegs der Elsa Schiaparelli. Am 5. Dezember 1927 gründete sie in Paris in der Rue de la Paix ihr eigenes Label und eroberte innerhalb eines Jahres mit ihren ausgefallenen Strick-Designs die Pariser Modewelt. Bald darauf designte sie mit ebenso großem Erfolg Abendkleider, Hüte und Handschuhe und herrschte in den dreißiger Jahre als nahezu unangefochtene Design-Göttin über den Pariser Modehimmel. Zum großen Verdruss von Coco Chanel, die sich unsanft und überraschend von ihrem angestammten Thron gestoßen fühlte.

Chanels Ärger lässt sich noch heute gut nachvollziehen. Denn als Modeschöpferin war Schiaparelli ein nahezu unbeschriebenes Blatt - und bereits 37 Jahre alt, als sie ihren großen Auftritt bei Bocher hatte. Umso märchenhafter wirkt daher noch heute ihr später und plötzlicher Aufstieg. Denn bis auf ein paar private Entwürfe hatte sie bis dato keine nennenswerten Gestaltungsergebnisse vorzuweisen. Das Leben, das hinter ihr lag, glich beruflich wie privat einem großen, unsortierten Scherbenhaufen.

"Kaum jemand wurde je so tief in seinen Gefühlen verletzt"

Schiaparelli wurde 1890 in Rom in wohlhabenden Verhältnissen geboren, entfloh der bürgerlichen Enge 1913 nach England und heiratete dort 1914 überstürzt einen lebensuntauglichen Grafen, mit dem sie in die USA ging. Gemeinsam brachten sie dort in den folgenden Jahren ihre stattliche Mitgift durch. Kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Gogo 1920 verließ der Graf sie. "Kaum jemand wurde je so tief in seinen Gefühlen oder so grausam in seinem Stolz verletzt", erinnerte sich Schiaparelli 1954 in ihren Memoiren an den Moment, in dem sie verlassen wurde.

Was von der Ehe blieb, war der Name Gräfin de Wendt de Kerlor und ein konstanter finanzieller Notstand, den sie immer wieder mit Gelegenheitsjobs zu überbrücken versuchte: als Verkäufern für die Designerin Nicole Groult - die Schwester des französischen Modeschöpfers Paul Poiret - sowie als Übersetzerin und als Begleiterin für reiche Frauen. Das einzige Kapital, das sie in ihrer New Yorker Zeit aufbaute, waren ihre Freundschaften zu Künstlern wie Man Ray, Marcel Duchamp und Francis Picabia, mit dessen Frau Gabrielle sie über Jahre eng verbunden bleiben sollte.

1922 war Schiaparelli schließlich klar, dass es so nicht weitgehen würde. New York war zum Leben einfach zu teuer. Also beschloss sie, gemeinsam mit Gabrielle Picabia nach Paris überzusiedeln. Mit leeren Taschen kam sie als alleinerziehende, mit 32 Jahren für damalige Verhältnisse alte Mutter in Paris an. Es waren die denkbar schlechtesten Startvoraussetzungen - wären nicht ihre guten Kontakte in die Kunstszene und ihre Begeisterung für Mode gewesen.

"Paris liebte sie"

Gabrielle Picabia führte Schiaparelli auch in Paris in die Künstlerszene ein. So lernte sie unter anderem Jean Cocteau und Salvador Dalí kenne, die ihre Mode entscheidend prägen sollten - und die Millionenerbin Daisy Fellows, die eine ihrer besten Kundinnen werden sollte. Hier und da entwarf sie aus Spaß für Freundinnen wie Gabrielle Picabia oder Blanche Hays ein Abendkleid oder einen Mantel. So wurde Paul Poiret, für den Gabrielle Picabia arbeitete, auf Schiaparelli aufmerksam und ermunterte sie, weiterzumachen.

Schiaparelli machte weiter und entwarf im Februar 1927 ihre erste Pulloverkollektion mit ausgefallenen geometrischen Mustern, die unter anderem stark an Piet Mondrian erinnerten. Bewusst wählte sie für ihre Kreationen das revolutionärste Kleidungsstück, das die Modewelt damals zu bieten hatte: den Pullover. Sie wollte modern sein und auffallen. Doch erst der Schleifenpulli brachte den gewünschten Effekt, was vor allem auf die unkonventionelle Präsentation zurückzuführen war. Sie lebte diesbezüglich ganz nach der Devise "Der Zweck heiligt die Mittel" und nutzte ihre guten privaten Kontakte aus, die ihr schließlich die Einladung bei Main Bocher einbrachten.

"Sie ohrfeigte Paris, sie peitschte, sie folterte es - und Paris liebte sie dafür", schrieb Yves Saint Laurent im Vorwort einer 1986 erschienen Biografie über Schiaparelli. Tatsächlich mutete Schiaparelli der Modewelt einiges zu. Ihre frühen Pullover waren schrill, verspielt und schräg. Auf ihnen prangen Tattoomotive, schwimmende Fische oder Skelette. Sie schockte die Welt mit dem Hosenrock, dem sichtbar eingesetzten Reißverschluss und dem Keilabsatz. Sie entwarf Westen aus Pferdedecken, kreierte ihr erstes Abendkleid 1931 aus gewachstem Satin, das lässig über der Hüfte verknotet wurde und im Licht wie ein Wachstuch glänzte, schuf Handschuhe mit ledernen Fingernagel-Applikationen und wilde Federhüte.

Schockmomente als Verkaufsgarantie

Sie wagte immer wieder Neues, experimentierte mit Materialien wie Jersey, Rayon und Cellophan und setzte kreischende Farben ein. Erst versuchte sie es mit Eisblau, um dann ein spezielles mit purpurrot vermischtes Pink zu entwickeln, das zu ihrem Markenzeichen wurde - "Shocking Pink". Mit ihren genial verrückten Ideen setzte sie bis zum Zweiten Weltkrieg immer neue Trends und stellte damit die in ihren Entwürfen deutlich moderatere, stillere Coco Chanel in ihren Schatten.

Und der Erfolg gab ihr recht. 1930 beschäftigte Schiaparelli in ihren Räumen in der Rue de la Paix Nr. 4 bereits 400 Mitarbeiter, die jährlich 7000 bis 8000 Kleidungsstücke fertigten. Fünf Jahre später zog sie in die größeren Räumlichkeiten am Place Vendôme 52 um, wo sich bald die Schickeria zum Shoppen traf: Greta Garbo, Marlene Dietrich, Peggy Guggenheim.

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Wer Schiaparelli trug, bekannte sich zur Moderne, zur Avantgarde und zu einem Stil, den die "Vogue" 1939 wie folgt beschrieb: "hart, höchst individuell und chic". "Harper's Bazar" drückte es etwas gefälliger aus: "Sie gibt ihren Kleidern die Essenz moderner Architektur, modernen Denkens und der Avantgarde." Das kam an. Schiaparelli expandierte immer weiter. Ende der dreißiger Jahre beschäftigte sie 600 Mitarbeiter, die pro Jahr 10.000 bis 12.000 Kleidungsstücke herstellten.

1934 schaffte es Schiaparellis sogar auf das Cover des "Time Magazine". "Verrückter und origineller als die meisten ihrer Zeitgenossen, wird Madam Schiaparelli öfter als alle anderen als Genie bezeichnet", hieß es in dem Artikel, der gleichzeitig Coco Chanel unsanft abstrafte. Sie sei zwar wirtschaftlich erfolgreicher und habe ein Vermögen von rund 15 Millionen Dollar angehäuft. Dennoch sei ihr Haus "derzeit nicht der dominanteste Einfluss auf die Modewelt". Schwarz auf Weiß durfte Chanel nun lesen, was sie gar nicht hören wollte: dass Schiaparelli sie in Sachen Design und Kreativität überflügelt hatte.

Erbitterte Konkurrenz mit Coco Chanel

Die Rivalität der beiden ist bis heute legendär. Schiaparelli sah sich stets als Künstlerin und ihre Mode als Kunst. Ein Ansatz, den die sieben Jahre ältere Chanel verächtlich abtat. Sie verstand sich als solide Handwerkerin und empfand den künstlerischen Ansatz Schiaparellis als Firlefanz, der nichts mit dem wahren Modehandwerk zu hatte. Verächtlich nannte sie Schiaparelli "die italienische Künstlerin, die Kleider macht". Die Abneigung der beiden ging angeblich so weit, dass Chanel auf einem Kostümfest die als Baum verkleidete Schiaparelli in eine brennende Kerze schubste. Das Intermezzo ging glimpflich aus. Das Kostüm fing zwar Feuer, konnte aber mit einem Glas Wasser schnell gelöscht werden.

Konsequent setzte Schiaparelli ihren künstlerischen Anspruch um. Ab 1936 arbeitete sie eng mit Salvador Dalí zusammen. So entstand der berühmte Schuh-Hut und das Lobsterkleid, in dem sich Wallis Simpson - die bürgerliche Ehefrau des zurückgetretenen britischen Königs Edward VIII. - in der "Vogue" ablichten ließ. Parallel kooperierte sie auch mit Jean Cocteau. Unter seinem Einfluss entstand unter anderem der grandiose Mantel, auf dessen Rücken zwei von Cocteau gemalte Gesichter abgebildet sind, deren Profile eine Vase bilden, aus der ein Seidenrosenbouquet ragt.

Der Krieg bereitete der Erfolgsgeschichte des Shooting-Stars ein jähes Ende. Nachdem die Deutschen Frankreich besetzt hatten, setzte sich Schiaparelli in die USA ab und kehrte direkt nach dem Krieg nach Paris zurück, um dort anzuknüpfen, wo sie 1940 aufgehört hatte. Doch die Bedingungen waren schwierig. Es gab in der Mangelwirtschaft der Nachkriegsjahre weder Stoffe noch genug Arbeitskräfte noch Kunden, die bereit waren, ihre teuren Modelle zu kaufen.

Nach dem Krieg war alles anders

Viel schwerer aber wog, dass die Pariser Modewelt von 1945 nichts mehr mit der von 1940 zu tun hatte. Modern war "passé", zeitgenössisch "in". Enggeschnürte Taillen, lange weite Röcke, riesige Puffärmel dominierten das Pariser Straßenbild. Nichts davon passte zu dem "harten, höchst individuellen Chic" der Schiaparelli. Doch statt sich anzupassen, machte Schiaparelli weiter wie bisher. "Ich habe nicht erkannt, dass jene Eleganz, wie wir sie vor dem Krieg kannten, gestorben war", reflektierte sie in ihren Memoiren selbstkritisch.

"Damals hatten die Leute keine Angst, anders zu sein", merkte sie wehmütig an. In der Nachkriegszeit schon. Neun Jahre kämpfte sie um ihre Marke und den Erhalt ihres Labels. Am Ende war das Haus pleite - unter anderem, weil sich die Design-Ikone weigerte, die Produktionskosten zu drosseln. 1954 gab sie das Geschäft endgültig auf und zog sich ins Privatleben zurück. Sie starb am 13. November 1973 im Alter von 83 Jahren.

Während ihre große Gegenspielerin Coco Chanel noch heute weltbekannt ist, geriet die Italienerin mit dem deutschen Vornamen Elsa, den sie angeblich ihrer deutschen Nanny verdankte, über die Jahrzehnte nahezu in Vergessenheit. Der Grund dafür ist rein wirtschaftlich: Das Haus Chanel hat bis heute überlebt und mit ihm die Erinnerung an seine Gründerin. Die Erinnerung an Schiaparelli ist mit ihrem Modelabel untergegangen. Der Modeunternehmer Diego Della Valle wagt nun das scheinbar Unmögliche: 2006 erwarb er die Markenrechte an Schiaparelli. Der Designer Marco Zanini soll nun in die Fußstapfen der glamourösen Design-Ikone treten und die Marke wiederbeleben.

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