Elsa Schiaparellis Autobiografie „Shocking Life“ - WELT (2024)

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Es war ein schwarzer Pullover mit eingestricktem weißem Schalkragen und Manschetten, der die Lunte für Elsa Schiaparellis explosionsartige Karriere in den späten 20er-Jahren legte. Schiaparelli, oder „Schiap“ wie sie sich selbst nannte, geht zu dieser Zeit bereits auf die vierzig zu und ist auch sonst weit davon entfernt, eine ahnungslose Jungdesignerin mit glücklichem Händchen zu sein.

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Bis zu diesem Wendepunkt hatte sie bereits einen schicksalshaften Parforceritt durch mehrere Länder und Kontinente zurückgelegt, doch mit dem Erfolg der Marke Schiaparelli beschleunigt sich ihr ohnehin rasantes Leben weiter.

„Shocking Life“ heißt die Autobiografie von Elsa Schiaparelli, die im Original bereits 1954 erschien. Der Titel verweist auf den von ihr erfundenen und gern verwendeten Farbton „Shocking Pink“. Nun erscheint „Shocking Life“ erstmalig in deutscher Übersetzung und ist in einer Zeit, in der erfolgreiche Modedesigner zu Hochleistungskreativen unter Zeitdruck mutiert sind, eine erstaunliche Lektüre.

Schiaparelli, die fast dreißig Jahre lang neben Coco Chanel die erfolgreichste Designerin der Welt war, übte ihren Beruf scheinbar en passant aus. Mindestens genauso in Beschlag genommen war sie von ihrer ungeheuren Abenteuer- und Reiselust. Fast könnte einen Wehmut überfallen, wäre da nicht der trockene, von Spitzen durchzogene Ton, den Schiaparelli anschlägt, sowie das zeitliche Setting über zwei Weltkriege hinweg, der kaum Raum für Sentimentalitäten lässt. Schiaparellis Lebensfazit lautet jedenfalls: „Spannend, ja! Vergnüglich, nein!“ Zum Glück gilt dieses Urteil für ihre Autobiografie nicht.

Hungerstreik im Internat

1890 wird Schiaparelli in Rom geboren. Ihre Familie ist großbürgerlich und gebildet, der Vater ein orientalistischer Gelehrter, die Mutter eine Tochter des Konsuls von Malta und unter anderem im Fernen Osten aufgewachsen. Die kleine Elsa soll eigentlich ein Junge werden und sorgt auch sonst für Enttäuschungen. Schiaparelis Kindheitserinnerungen lesen sich wie die überdrehten Abenteuer einer italienischen Astrid-Lindgren-Heldin: Sie springt mit einem Schirm aus dem zweiten Stock in einen Haufen Mist, und weil sie sich hässlich findet, schüttet sie sich Blumensamen in Rachen, Mund, Ohren und Nase und erstickt beinahe daran.

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Bei einer langweiligen Abendgesellschaft ihrer Eltern lässt sie Flöhe unter dem Tisch frei. Mit 13 Jahren nimmt der Vater sie mit nach Tunesien, wo ihr ein reicher Araber auf einem weißen Pferd einen rituellen Heiratsantrag macht, den sie zu ihrer großen Enttäuschung nicht annehmen darf. Mit 14 verfasst sie einen frühreifen Gedichtband, den sie heimlich verlegen lässt und der ein skandalöser Erfolg wird. Ihre Eltern stecken sie daraufhin in ein Schweizer Internat, wo sie so lange in den Hungerstreik tritt, bis man sie wieder nach Rom zurückholt.

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Als die rebellische junge Frau 1913 das Angebot bekommt, in London als Kinderfrau zu arbeiten, macht sie sich sofort auf, um einer drohenden Ehe zu entfliehen. In London verliebt sie sich jedoch Hals über Kopf in einen französisch-polnischen Aristokraten, der in einer Fußnote des Buches als „Theosoph und Frauenschwarm“ beschrieben wird, und heiratet ihn vom Fleck weg. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, geht sie mit ihrem Mann nach New York und wird kurz darauf schwanger. Ihre gemeinsame Tochter Gogo bringt sie allerdings bereits allein zur Welt, ihr Mann ist mit einer Tänzerin durchgebrannt.

Von der Globetrotterin zur Getriebenen

Zurück in Paris sitzt die Enttäuschung tief. Was sie nicht von zahlreichen Affären abhält. Namentlich erwähnt wird freilich keiner der Liebhaber. Ihre größte Konkurrentin und stilistische Gegenspielerin Coco Chanel bringt es zumindest auf eine Episode im Buch. Sie kommt als Gast zu der ersten Dinnerparty, die Schiaparelli als erfolgreiche Modedesignerin in Paris gibt: „Als Mademoiselle Chanel eintraf, erschauderte sie beim Anblick der modernen Möbel und schwarzen Tafeln und benahm sich, als ginge sie einen Friedhof entlang.“ Wenigstens war man sich in der gegenseitigen Ablehnung einig.

Schiaparellis Stil wird häufig als flamboyant und exzentrisch beschrieben. Neben ihrer Vorliebe für „Shocking Pink“ ist sie für Schmetterlingsprints berühmt. Ihre Kleider waren für den großen Auftritt gedacht, und dementsprechend schillernd war auch die Liste ihrer Trägerinnen, die alle mit mehr oder weniger liebevollen Beobachtungen bedacht werden. Greta Garbo? Ist eine so außergewöhnliche Erscheinung, dass sie sich nur „von Zeit zu Zeit in ein menschliches Wesen verwandelt“. Marlene Dietrich? „Eine endlose Zigarette rauchend, als posiere sie für einen Film.“ Katharine Hepburn? Als junges Mädchen „hässlich und altbacken“ – bis „Schiap“ sie unter ihre Fittiche nimmt.

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Schiaparelli war keine Randfigur, sondern Mittelpunkt des Pariser, Londoner und New Yorker Boheme-Lebens dieser Zeit, die Liste ihrer Freunde und teilweise auch Kollaborateure von Cecil Beaton über Salvador Dalí bis Man Ray liest sich wie ein Wikipedia-Eintrag zum Thema Surrealismus.

Plötzlich praktisch

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird aus der globetrottenden Designerin eine Getriebene: Zweimal flieht sie auf abenteuerlichen Umwegen von Frankreich aus in die USA, wo sie Vortragsreisen hält und Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert. Mode entwerfen mag sie in dieser Zeit nicht. Einzige Ausnahme: ein Brautkleid für einen Dackel.

Nach dem Krieg kehrt sie zurück nach Paris und macht eine stilistische Wandlung durch. Fortan sind ihre Kollektionen „praktisch, würdig und elegant“ und von „Zurückhaltung und Sparsamkeit“ geprägt. Schiaparelli findet, dass es „ihre besten Kollektionen“ sind, aber die Kunden sehen es anders. Auch als sie wieder lautere Töne anschlägt, kann sie nicht an ihre Vorkriegserfolge anknüpfen.

Als „Shocking Life“ 1954 erscheint, hat sie gerade ihr Couture-Haus an der Pariser Place Vendôme schließen müssen. Ein Lebensabschnitt ist unwiederbringlich zu Ende. Sie wird jedoch noch nahezu zwanzig Jahre vornehmlich in ihrem Haus in Tunesien verbringen, bevor sie 1973 in Paris stirbt. Die Lektüre ihrer Lebensgeschichte lässt erahnen, dass selbst eine scheinbar unverwüstliche Multitaskerin wie Schiaparelli diese Zeit nach 64 Jahren atemloser Hast durch Welt und Weltgeschichte dringend benötigte, um sich zu erholen.

Elsa Schiaparellis Autobiografie „Shocking Life“ - WELT (2024)

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Author: Laurine Ryan

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